Methode: Das innere Team

In der Folge Nummer 3 unseres Podcasts „Sozialfuzzi“ haben wir uns dem Thema Authentizität gewidmet und erörtert, dass Authentizität sehr viel mit dem Kennen, Benennen und Handeln in unterschiedlichen Rollen oder Hüten zu tun hat. Wir befinden uns als Fachkräfte immer in Doppel- oder Mehrfachrollen, die sich miteinander vermischen. Jede*r kennt wahrscheinlich die Situation aus der täglichen Teamarbeit. Es kommt irgendwann unweigerlich zu Unstimmigkeiten, Diskussionen über Vorgehensweisen oder zu Konflikten. Und plötzlich entsteht ein gruppendynamischer Prozess, in dem einige Charaktere sich sehr laut und bestimmt Gehör verschaffen, andere beschwichtigend eingreifen und wieder andere, die sich komplett zurückziehen. Diese Dynamiken in Teams gibt es auch in unserem Inneren. Wir haben unterschiedliche Stimmen mit unterschiedlichen Motivationen. Manche stark im Vordergrund, manche versteckt und leise. Das innere Team – entwickelt von Prof. Dr. Friedemann Schultz von Thun – ein deutscher Psychologe und Kommunikationswissenschaftler – ist eine Methode, um diesen Stimmen ein Gesicht bzw. einen Namen zu geben, sie zu ergründen, sie kennenzulernen und zu lernen, damit umzugehen.

Dem inneren Team liegt die Parallelitätsthese zu Grunde, die Schultz von Thun 2007 in seinem Buch „Miteinander reden 3“ beschrieben hat. Die These besagt, dass der „inneren Dynamik im Seelenleben“ ähnliche gruppendynamische Prozesse zugrunde liegen wie sie im Teams vorkommen. Wie in hierarchischen Unternehmensstrukturen gibt es ein „Oberhaupt“ – quasi eine Führungskraft, die die Letztentscheidungen fällt. Das „innere Team“, das dem „Oberhaupt“ unterstellt ist, spiegelt die Pluralität des Menschen wider. Unsere einzelnen „Teammitglieder“ vertreten unterschiedliche Werte, Haltungen und Ansichten, die im Konflikt miteinander und in Wechselwirkung zueinander stehen können. Die Prämisse des „inneren Teams“ ist, dass die „Teammitglieder“ jedoch oft nur unterbewusst existieren. Mit dieser Methode ist es allerdings möglich, diese zu ergründen und zu visualisieren, ihnen ein Gesicht, einen Namen und Leitmotive zu geben. Durch die Visualisierung ist es möglich, die darunterliegenden Konflikte und Widersprüche zu erkennen und zu bearbeiten. Das „innere Team“ ist eine Methode, die Zeit, Offenheit und ein hohes Maß an Selbstreflexionsfähigkeit voraussetzt.

Die Rolle des „Oberhauptes“

Das „Oberhaupt“ wird als kooperative Führungskraft verstanden, dessen Aufgabe es ist, konstruktiv mit den verschiedenen Stimmen – also den „Teammitgliedern“ – umzugehen. Die verschiedenen Meinungen der einzelnen „Teammitglieder“ werden zugelassen und akzeptiert. Die Prämisse ist es, dass jedes „Teammitglied“ nicht destruktiv agiert, sondern immer eine positive Absicht hat – auch wenn es die Lösungsfindung blockiert. Die Aufgabe des „Oberhauptes“ ist es, die Argumente der „Teammitglieder“ in Zusammenhang zu bringen und so einen Klärungsprozess mit dem Fokus zu starten, vor allem selten gehörten Stimmen dezidiert zu Wort kommen zu lassen.

Der Ablauf des inneren Teams

Um die Methode durchzuführen, braucht es Zeit. In Selbstreflexion geübte Personen brauchen weniger Zeit. Im Schnitt kann die Durchführung zwischen 30 und 90 Minuten dauern. Für die Visualisierung muss ausreichendes Equipment zur Verfügung stehen. Das können Papier (mindestens A3) und Stift sein, ein Whiteboard, ein Tablet, eine Kreidetafel oder ein Flipchart. Geübte Anwender*innen können dies am Computer in einem Zeichenprogramm erstellen. Im Internet finden sich teils kostenpflichtige Lösungen – wobei hier vor allem das Angebot von www.coachingspace.net hervorzuheben ist, welches dank eines Stipendiums zumindest bis Herbst 2021 kostenfrei bleibt.

Wie bei vielen Modellen, ist es wichtig die Aufmerksamkeitsrichtung bzw. die Fragestellung vorab zu schärfen. Je besser und klarer diese formuliert ist, desto einfacher gestaltet sich die Umsetzung. Grundsätzlich gibt es keine Einschränkung. Es können die eigenen Verhaltensweisen in bestimmten Situationen hinterfragt werden, eine anstehende wichtige Entscheidung erörtert oder die eigene Haltung zu bestimmten vielleicht kontroversen Themen reflektiert werden. Zusätzlich kann das „innere Team“ dazu verwendet werden, um die Authentizität in einer bestimmten Rolle, z.B. als Führungskraft oder Fachexpert*in zu überprüfen.

„Warum habe ich das Thema in der Familie nicht angesprochen?“
„Warum kann ich den übernommenen Auftrag nicht akzeptieren?“
„Wie stehe ich dazu, dass mein*e Kolleg*in gekündigt wurde?“
„Wie stehe ich grundsätzlich zu Kündigungen im Sozialbereich?“
„Habe ich mich in der Situation authentisch verhalten?“

Beispiele für mögliche Fragestellungen

Der nächste Schritt ist die Benennung der inneren Teammitglieder. Man spürt tief in sich hinein und eruiert, welche Gefühle, welche Persönlichkeitsanteile, welche Leitmotive oder Werte für die Fragestellung relevant sind. Als Faustregel gilt, dass keine „Teammitglieder“ ausgelassen werden und lieber mehr als weniger benannt werden. Jeder Aspekt wird durch ein „Teammitglied“ vertreten – eine Zusammenlegung mehrerer Aspekte ist kontraproduktiv.

Die einzelnen „Teammitglieder“ werden nun visualisiert. Dazu werden Gesichter, Strichmännchen, Kegel oder andere Formen, die diese repräsentieren, aufgezeichnet. Jedes „Teammitglied“ bekommt einen Namen, der für die Stimme steht, die das „Teammitglied“ repräsentiert.

„der/die Kritiker*in“
„der/die Expert*in“
„der/die Loyale
„der/die Genervte“
„der/die Ängstliche“
„der/die Weltverbesser*in“

Beispiele für die Benennung von Teammitgliedern

Sind die „Teammitglieder“ einmal benannt, sollten Schlüsselsätze formuliert werden, die die Rolle charakterisieren.

Da das innere Team auch eine Visualisierungsmethode ist, werden die Teammitglieder durch Strichmännchen oder Symbole skizziert. Jedes Mitglied bekommt dabei einen Namen und formuliert einen Schlüsselsatz. Manchmal kann der Schlüsselsatz auch fehlen. Je genauer das jeweilige Teammitglied aber charakterisiert ist, desto aussagekräftiger ist seine Rolle.

„Ich traue mir das nicht zu“ – der/die Ängstliche
„Wenn wir das so angehen wird das nichts“ – der/die Kritiker*in
„Ich muss doch zu meiner Kolleg*in stehen“ – der/die Loyale
„Können wir nicht endlich loslegen? – der/die Genervte
„Wir müssen doch etwas tun! – „der/die Weltverbesser*in

Beispiele für Leitsätze

Die Kunst beim inneren Team ist es, auch unangenehme oder sogar peinliche „Teammitglieder“ zu Wort kommen zu lassen. Die Prämisse ist ja, dass alle „Teammitglieder“ etwas Positives bewirken wollen. Dementsprechend sollten aber auch die Namen der Teammitglieder keine komplett negativen Eigenschaften repräsentieren (z.B. das „Arschloch“). Das innere Team ist eine Visualisierungsmethode – es besteht allerdings kein Anspruch auf künstlerische Ästhetik.

Was passiert nach der Benennung

Die Benennung der „Teammitglieder“ und die Formulierung der „Leitsätze“ ist bereits harte Arbeit. Alleine das Benennen, Ausformulieren und Visualisieren kann schon ausreichend sein, um die Fragestellung zu beantworten. Im Nächsten Schritt wird genauer auf die „Teammitglieder“ und deren Position im Team eingegangen. Kommen in dem Prozess noch neue Aspekte auf, können diese natürlich ins „Team“ integriert werden. In dem Prozess nach der Visualisierung wird versucht, sich in die einzelnen „Teammitglieder“ hineinzuversetzen und deren Beweggründe zu verstehen. Man kann nun ergründen, wie sich die einzelnen „Stimmen“ in der Gruppe verhalten und in welcher Beziehung sie zueinander stehen.

„Welches Teammitglieder übernimmt die Führung?“
„Welche Stimmen gehen unter?“
„Wer ist besonders präsent?“
„Wer steht mit wem im Konflikt?“
„Wer hält zusammen?“

Beispiele für Fragestellungen zur Gruppendynamik im inneren Team

Der letzte Schritt im inneren Team ist das Sammeln von Lösungsideen. Hier ist das „Oberhaupt“ gefordert – ganz im Sinne einer Führungskraft – die Konflikte der Teammitglieder in einem anleitenden Prozess zu lösen. Der Kreativität sind hier keine Grenzen gesetzt. Lösungen können die Stärkung von einzelnen Stimmen ebenso beinhalten wie die Feststellung, dass eine bestimmte Stimme in der besagten Situation gar keinen Platz haben sollte. Es können Handlungen sein, um die inneren Konflikte zu lösen oder auch nur das einfache Bewusstmachen dessen, welche Stimmen in welcher Situation angebracht und authentisch sind.